Das Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien soll die schwierigsten Hürden für den Handel nach dem Brexit regeln. Übergangsphasen sollen die Handelspartner an die neuen Situationen Stück um Stück gewöhnen. Doch schon jetzt sind die im- und exportierenden Unternehmen überfordert – was weitreichende Konsequenzen zur Folge hat.
Lange Staus reihen sich bereits an den Grenzpunkten. Dabei ist das aktuelle Verkehrsaufkommen niedriger als sonst. Laut einer Stellungnahme des britische Güterkraftverkehrsverband RHA (Road Haulage Association) überqueren nur rund 2.000 LKWs täglich den Kanal, waren es in vergangenen Jahren doch bis zu 6.000 LKWs pro Tag. Das niedrige Verkehrsaufkommen könnte aktuell daran liegen, dass viele Unternehmen ihre Lager noch vor Ablauf der Übergangsfrist zum 31.12.2020 aufgefüllt haben. Doch auch Vorräte gehen irgendwann zur Neige.
Lieferengpässe und -ausfälle wegen verwirrender Vorschriften
Gleichzeitig zögern viele Lieferanten aus der EU mit ihrem Export. Zu verwirrend sind die neuen Transportvorschriften, zu zeitraubend ist die Zollabfertigung und der gewaltige Papierkrieg. Schon erreichen Lieferengpässe und -ausfälle die Insel. Es bleibt die Gefahr, dass Waren an der Grenze abgewiesen werden. Laut RHA werden rund ein Fünftel aller in Großbritannien eintreffender LKWs wegen fehlender oder mangelhafter Papiere zurückgeschickt.
Um diese zeitlichen und finanziellen Verluste zu vermeiden, muss der erforderliche bürokratische Aufwand erbracht werden. Zwar bietet das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich einen „Nulltarif“. Damit dieser allerdings zustande kommt, müssen zahlreiche Exportpapiere ausgefüllt, abgestempelt, erfasst, verarbeitet und genehmigt werden. Wo früher eine monatliche INTRASTAT-Meldung genügte, müssen die einzelnen Waren nun aufwendig in den Zolltarif eingereiht und eine Ein- und Ausfuhranmeldung ausgefüllt werden.
Ohne Ursprungsnachweis kein „Nulltarif“
Britische Exporteure stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Mit dem Ende der Übergangsfrist müssen sie nachweisen, dass ihre Produkte überwiegend in Großbritannien hergestellt wurden. Nur so profitieren sie vom „Nulltarif“. Dazu werden neue Lieferantenerklärungen und Ursprungsnachweise als Basis für die neue Präferenzkalkulation benötigt.
Britische Waren verlieren präferenziellen „EU-Ursprung“
Für den Kunden des Lieferanten in der EU bedeutet der neue Ursprungsnachweis wiederum selbst eine neue Präferenzkalkulation. Handelsabkommen mit anderen Ländern wie bspw. Japan setzen einen Ursprung der Ware aus der EU voraus. Da Großbritannien nicht mehr Teil der EU ist und Vormaterialien aus Großbritannien ihren präferenziellen Ursprung verlieren, muss die eigene Kalkulation aktualisiert werden. Mehr dazu
Hier sind vor allem die komplizierten Wertschöpfungsketten in der Automobilindustrie betroffen. Für Unternehmen mit engen Handelsbeziehungen ins Vereinigte Königreich bedeutet der Verlust des präferenziellen „EU-Ursprungs“ womöglich einen zusätzlichen Verlust von Zollvergünstigungen mit weiteren Handelspartnern.
Chaos mit Lichtblick
Gepflegte Außenhandelsstammdaten, korrekte Warentarifnummern, vollständige Lieferantenerklärungen und neue Präferenzkalkulationen sorgen für einen reibungslosen Ablauf an der Grenze.
Für die Handelspartner führt kein Weg am Handelsabkommen vorbei. Wer weiter macht wie bisher, fährt die Ware vermutlich wieder heim.